77 Jahre ist es her, dass in Deutschland einer der widerwärtigsten Pogrome stattgefunden hat, die unser Land je sah. Ein Ereignis, das niemals in Vergessenheit geraten darf, damit wir für die Gegenwart und die Zukunft daraus lernen.
Leider zeigen die Ereignisse der letzten Tage, Wochen und Monate in Deutschland, dass es Not tut immer wieder daran zu erinnern denn, manche haben aus der Vergangenheit nichts gelernt.
Glücklicherweise gibt es aber auch viele Menschen, die den menschenverachtenden Gedanken und Taten der neuen Nazis mit vielen Aktionen entgegenwirken. Gott stehe euch bei und segne euch!
Anlässlich des 70 Jahrestages 2008 haben wir in unserer Gemeinde einen Gedenkgottesdienst gehalten. Eine Handreichung der EKD sowie eine Dokumentation über Juden in Heckinghausen lagen dem Gottesdienst zu Grunde.
Heute nochmals meine Predigt vom 09. November 2008, die an Aktualität leider nichts verloren hat.
Nachdenkliche Grüße
Bernd
Lieber
Vater, schenke Reden, Hören und Verstehen durch deinen Heiligen Geist. Komm
Heiliger Geist. Amen
Liebe
Gemeinde,
70 Jahre ‚Reichskristallnacht’. Ich traue mich diesen
Begriff statt ‚Pogromnacht’ zu nutzen. Nicht nur, weil ich selber in der Schule
noch mit diesem Begriff groß geworden bin und er für mich in besonderer Weise
die Gräueltaten der Nazis beschreibt, sondern auch, weil am Abend des 09.
November 1938 eine von Nazis „organisierte und gelenkte Zerstörung von
Einrichtungen, Eigentum und Leben der Juden“ stattfand „und keineswegs ein
spontaner Ausbruch der Bevölkerung“, wie es in der Handreichung zur heutigen
Gottesdienstgestaltung von der EKD heisst.
70 Jahre ‚Reichskristallnacht’. „In den Kirchen herrschten
damals mehrheitlich Schweigen, Wegschauen oder gar heimliche Zustimmung. Nur
wenige mutige Stimmen nannten die Verbrechen beim Namen, so Wolfgang Huber,
Jahrgang 1942, Vorsitzender des Rates der EKD im Geleitwort der Handreichung.
70 Jahre ‚Reichskristallnacht. Wollen, können oder sogar müssen
wir uns jedes Jahr aufs Neue damit auseinandersetzen? Ich bin Jahrgang 1966.
Also kein Zeitzeuge. Keiner, der ein schlechtes Gewissen machen darf und mit
erhobenem Zeigefinger auf die zeigen darf, die eben nicht die damaligen
Verbrechen beim Namen genannt haben. Ich weiß nicht, was ich als Familienvater
gesagt und getan hätte – damals. Aber ich will dieses Kapitel deutscher
Geschichte nicht vergessen und totschweigen, sondern daraus lernen.
Und dazu liefert unser Predigtext für heute einige Gedanken.
1. Thessalonicher 5, 1-11
1 Von den Zeiten aber und Stunden, liebe Brüder, ist nicht
Not euch zu schreiben.
2 Denn ihr selbst wißt genau, daß der Tag des Herrn wird
kommen, wie ein Dieb in der Nacht.
3 Wenn sie sagen
werden: Es ist Friede, es hat keine Gefahr, dann wird sie das Verderben schnell
überfallen gleichwie der Schmerz ein schwangeres Weib, und werden nicht
entfliehen.
4 Ihr aber, liebe Brüder, seid nicht in der Finsternis, daß
der Tag wie ein Dieb über euch komme.
5 Denn ihr alle seid Kinder des Lichtes und Kinder des
Tages. Wir sind nicht von der Nacht noch von der Finsternis
6 So lasset uns nicht schlafen wie die andren, sondern
lasset uns wachen und nüchtern sein.
7 Denn die da schlafen, die schlafen des Nachts, und die da
trunken sind, die sind des Nachts trunken.
8 Wir aber, die wir des Tages sind, wollen nüchtern sein,
angetan mit dem Panzer des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung
auf das Heil.
9 Denn Gott hat uns nicht gesetzt zum Zorn, sondern das Heil
zu gewinnen durch unseren Herrn Jesus Christus,
10 der für uns gestorben ist, auf dass, wir wachen oder
schlafen, wir zugleich mit Ihm leben sollen.
11 Darum ermahnet euch untereinander und erbauet einer den
andern, wie ihr auch tut.
1. Vergangenheit, Heckinghausen,
09. November 1938
Unter den Eindrücken des 09. November 1938 höre ich als
erstes ‚Nacht’, ‚Verderben’ und ‚Finsternis’ als
Schlagworte dieses Textes.
Gewalt, Unheil, Elend kommt mir in den Sinn. Die Geschichte,
wie die Feuerwehr in Wuppertal damals ausrückte, um den Brand der Synagoge zu
bekämpfen und trotz aller Bemühungen nur erreichte, dass es immer mehr brannte.
Kein Wunder, wie mir mein Religionslehrer Pfarrer Wienecke Jahre später
berichtete, wurde doch statt mit Wasser mit Benzin und Öl gelöscht.
Wie damals Öl ins Feuer zu gießen im Widerspruch stand, so
sind es in unserem Text die Gegensätze von Tag und Nacht, wachen und schlafen, trunken
und nüchtern, Zorn und Heil, sterben und leben. Eindringlich weisen uns diese
Gegensätze auf das Hinterfragen unseres menschlichen Handelns hin. Sie erinnern
uns daran, dass vor 70 Jahren Selbstverständlichkeiten des christlichen Lebens
außer Kraft gesetzt wurden. Brandschatzen, plündern, morden, Gott lästern,
geschah in aller Öffentlichkeit. Und
fast niemand schritt ein.
Das ist das Schuldhafte an diesem 09. November 1938. Das ist
es, was jedes Jahr aufs Neue wach gehalten werden muss. Auch Christen haben
damals gegen Gottes Gebote verstoßen, sich an seinem auserwählten Volk
versündigt. Und das darf nicht in Vergessenheit geraten. Denn was vergessen
wird, das kann jederzeit neu entstehen. Wir leben aus der Vergebung, aber dass
bedeutet nicht, das wir unsere Vergangenheit ausblenden dürfen. Ansonsten
gewinnt Vers 3 für uns schneller an Bedeutung, als wir wahr haben wollen. 3
Wenn sie sagen werden: Es ist Friede, es
hat keine Gefahr, dann wird sie das Verderben schnell überfallen gleichwie der
Schmerz ein schwangeres Weib, und werden nicht entfliehen.
Der frühere Bundesminister Hans-Jochen Vogel betonte in
seiner Rede zur Gedenkstunde des Bundestages anlässlich der Zerstörung der
Demokratie am 10. April diesen Jahres, dass die Mahnung „Wehret den Anfängen!“
aus jener Zeit vor 75 Jahren ein noch immer aktuelles Gebot sei. Parteien, die
in Landesparlamenten in „schwer erträglicher Weise auftreten“, erinnerten an
die Frühzeit der NSDAP. Ihnen gelte es zu begegnen. „Wer wegsieht oder nur die
Achseln zuckt, schwächt die Demokratie. Wer widerspricht und sich einbringt,
stärkt sie.“
Wir Christen sind, ebenso wie Politiker, in besonderer Weise
dazu aufgerufen, die Vergangenheit wach zuhalten, um die Gegenwart gestalten zu
können.
2. Gegenwart, Heckinghausen
09. November 2008
Friedhelm Ringelband sagte Ende Juni schon einmal zu diesem
Text: „Die Juden warteten sehnsüchtig auf den Messias, der das Reich Gottes
aufrichten sollte. Und in der ersten Christenheit gab es die handfeste
Erwartung, Jesus würde noch zu ihrer Lebzeit wiederkommen, wie er es
versprochen hatte. „Wann wird das sein und was wird mit den bereits
Verstorbenen?“ fragte man die Apostel und Gemeindeleiter.“ Paulus weiß davon
und gibt der Gemeinde auf seine ihm eigene Art Antwort darauf:
1 Von den Zeiten aber und Stunden, liebe Brüder, ist nicht Not euch zu schreiben.
2 Denn ihr selbst wißt genau, daß der Tag des Herrn wird
kommen, wie ein Dieb in der Nacht.
„Ihr wisst zwar genau Bescheid über die Endzeit, aber
eigentlich wisst ihr nichts. Denn der Tag des Herrn wird plötzlich und
unerwartet kommen.“ Sagt Hanna Lehming, Beauftragte für den
christlich-jüdischen Dialog in der nordelbischen Kirche. Bei Paulus sieht das
ähnlich aus. Er fängt nicht an, den Tag des Herrn näher zu beschreiben, er
bemüht nicht die Worte vom Jüngsten Gericht. Auch wenn die Zukunftsfrage der Thessalonicher
Grund seiner Ausführungen über die Wiederkunft Christi sind, schafft er es, die
Gegenwart, die doch das Leben der Gemeinde bestimmt, sachlich-nüchtern in den
Mittelpunkt zu stellen. Und dabei ist ihm eines besonders wichtig: 6 So
lasset uns nicht schlafen wie die andren, sondern lasset uns wachen und
nüchtern sein.
Nicht wie die andern sein. Sich abheben von der Masse. Vor
allem von denen, die Gottes Wort nicht als bindend anerkennen wollen, die
lieber auf ihren eigenen, selbst gemachten, Wegen gehen wollen. Unsere
Gemeindeleitlinien sind daran ausgerichtet. An der Seite der Schwachen stehen,
Teilen lernen – um nur zwei zu nennen. Menschen sollen in unserer Gemeinde eine
Anwältin der Gerechtigkeit finden. Wir sehen in dem Geist der Resignation in
unserer Kirche eine Versuchung des Bösen. Deshalb wollen wir einüben, von
Gottes Verheißungen her zu denken. Das sind die Auswirkungen, die wir daraus
erkennen und umsetzen möchten. Von Gottes Verheißungen her zu denken ermöglicht
uns, Gottes Reich schon jetzt mitten in Heckinghausen erlebbar zu machen. Und
es ermöglicht uns, Geschehnisse wie die Reichskristallnacht, nicht nochmals zum
Ausbruch kommen zu lassen. Wir als Gemeinde stehen nicht nur in einer
missionarisch-diakonischen, sondern auch in einer politischen Verantwortung.
Deshalb ist es wichtig auf gesellschaftliche Missstände hinzuweisen, Stellung
zu beziehen und konkrete Hilfen anzubieten. Nicht im stillen Kämmerchen,
sondern bemerkbar in der Öffentlichkeit. Hausaufgabenhilfe im Heck-Meck, Heiligabendfeier
im Paul-Gerhardt-Haus, aktive Gestaltung von Kirchenasyl waren und sind solche
Zeichen in unserer Gemeinde.
Das, was Paulus den Thessalonichern geschrieben hat, gilt
auch noch heute für uns.
Daraus dürfen wir lernen, daran dürfen wir wachsen. 8 Angetan
mit dem Panzer des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung auf das
Heil sind wir genügend gewappnet um einzuschreiten. Einzuschreiten,
wenn gegen die Selbstverständlichkeiten des täglichen christlichen Lebens
verstoßen wird.
9 Denn Gott hat uns nicht gesetzt zum Zorn, sondern das Heil
zu gewinnen durch unseren Herrn Jesus Christus,
10 der für uns gestorben ist, auf dass, wir wachen oder
schlafen, wir zugleich mit Ihm leben sollen.
Gott allein ist es, der unserer Welt die Erfüllung schenkt.
Amen
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus unseren Herrn.
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