Moin zusammen,
Passionszeit ist (auch) Leidenszeit. Wo wird das deutlicher als unter dem Kreuz.
Aber Passionszeit ist (auch) Vorbereitungszeit. Jesus selbst bereitet vor. Zum Beispiel das künftige Leben seiner Mutter und des von ihm besonders geliebten Jüngers.
Fröhliche Grüße
Bernd
Lieber Vater, schenk uns ein Herz für dein Wort und dein
Wort für unser Herz. Amen
Liebe Gemeinde,
Sartre soll an seinem Sterbebett verzweifelt „Ich bin
gescheitert“ ausgerufen haben. Brecht wollte wohl mit allen um ihn herum nichts
mehr zu tun haben und rief „Laßt mich in Ruhe!“ Beethoven wiederum hatte wohl
eine Komposition vergessen niederzuschreiben und so wird von ihm berichtet, das
er „Schade, schade, zu spät!“ ausrief. Und dem alten Goethe wird nachgesagt,
das er „Mehr Licht“ haben wollte. Aber vielleicht hat man auch sein hessisch
nicht verstanden und er hat „Mer liecht hier schlecht“ gemurmelt.
All das sind sogenannte famous last words, also berühmte
letzte Worte.
Die letzten Worte von Jesus sind diesen Monat Thema unserer
Predigtreihe. Bisher haben wir dazu Worte aus Lukas 23 gehört. An die Soldaten,
die Jesus kreuzigen und um seine Kleider spielen richtet er die Worte: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht,
was sie tun.“ Seinem Mitgekreuzigten verspricht er: „Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“
Und im heutigem Text aus Johannes 19, 26+27 sind es seine
Mutter und der Jünger, den er lieb hat, die er anspricht.
Hier in der Neuen
Genfer Übersetzung.
26 Als Jesus seine
Mutter sah und neben ihr den Jünger, den er besonders geliebt hatte, sagte er
zu seiner Mutter: »Liebe Frau, das ist jetzt dein Sohn!«
27 Dann wandte er sich
zu dem Jünger und sagte: »Sieh, das ist jetzt deine Mutter!« Da nahm der Jünger
die Mutter Jesu zu sich und sorgte von da an für sie.
Drei Gedanken dazu.
Mutter Maria
Was muss in Maria vorgehen. Da stirbt ihr Sohn dort am
Kreuz. Natürlich weiß sie, dass es in erster Linie Gottes Sohn ist. Aber sie
hat ihn unter Schmerzen auf die Welt gebracht, hat ihn gestillt, gewickelt,
seine ersten Schritte und Worte begleitet. Kann es für ein Mutter Schlimmeres
geben als ihr eigenes Kind sterben zu sehen?
Sie hat sich dieses Kind nicht ausgesucht, sie wurde
ausgesucht, erwählt. Ungefragt und unvorbereitet.
Sicherlich wusste sie um ihre Aufgabe. Der Engel Gabriel hat
es ihr gesagt. Sie selber hat in ihrem bekanntem Lobgesang Gott zugejubelt „Ja, man wird mich glücklich preisen - jetzt
und in allen kommenden Generationen.“ Lk 2,48. Aber kann dieses Wissen
wirklich den Schmerz lindern, der in diesem Moment in ihr ist?
Der Sohn am Kreuz. Er ist bald tot. Und nicht nur der Sohn,
auch die Verheißungen Gottes scheinen mit einem Mal zu sterben. Aus und vorbei.
Ist es ein Trost, wenn Jesus jetzt zu seiner Mutter sagt: „Liebe Frau, das ist jetzt dein Sohn!“?
Kann es ein Neuanfang für Maria sein? Ein neuer Sohn für sie. Eine neue
Familie. Und damit auch ein neuer Lebensabschnitt. Vielleicht auch ein neuer
Weg voller Gottvertrauen, ein neuer Weg mit neuem Lobgesang. In Apg. 1, 14 wird
schließlich berichtet, „Sie alle [die
Jünger] beteten anhaltend und einmütig miteinander. Auch eine Gruppe von Frauen
war dabei, unter ihnen Maria, die Mutter von Jesus; Jesu Brüder gehörten
ebenfalls dazu.“
Lange Jahre aber gehörte Maria nicht zum engsten Menschenkreis
um Jesus. Sie trafen sich zwar auf der Hochzeit zu Kana in Galiläa, sprechen
dort auch miteinander und Maria war sogar Auslöserin für das erste Wunder,
Wasser in Wein zu verwandeln. Aber sonst hatten sie in der Zeit von Jesus
öffentlichem Wirken nichts miteinander zu schaffen. „Denn wer den Willen Gottes tut, der ist mein Bruder, meine Schwester
und meine Mutter.“ Blutsbande
spielen für Jesus keine Rolle.
Maria wird unter dem Kreuz durch Jesus selbst aufgenommen in
die erste Christengemeinde. Zu Jesus, oder besser zu Gott, hat Maria aber schon
vorher gehört. Sie hat ihm vertraut und auch deshalb hat sie Jesus, als Sohn
Gottes, seinen Weg gehen lassen können. Auch wenn es ihr oft schwer gefallen
ist. Kurz nachdem Jesus seine Jünger berufen hat wird uns in Mk 3,21 von der
Reaktion seiner Familie darauf berichtet: „Als
seine Angehörigen das erfuhren, machten sie sich auf, um ihn mit Gewalt
zurückzuholen. Sie waren überzeugt, dass er den Verstand verloren hatte.“
Unverständnis und Zweifel haben die ganzen Jahre über zu ihrer
Lebensgeschichte, zu ihrem Glauben dazu gehört.
Mutter Maria. Die Frau, die Jesus ein Leben lang begleitet
hat. Auf die unterschiedlichste Art und Weise. Eifrig anpackend, still betend,
kopfschüttelnd über manche seiner Taten.
Mutter Maria. Die Frau, die jetzt zum zweiten Mal einen Sohn
per Gottesweisung bekommen hat.
Besonders geliebter
Jünger
Und was geht in dem besonders geliebten Jünger vor? Für ihn
muss doch gerade ebenfalls eine Welt zerbrechen. Da ist er lange Zeit mit Jesus
durch das Land gezogen. Hat mitbekommen und (größtenteils) verstanden, was der
Gottessohn den Menschen zu sagen hat. Er war beteiligt an der berühmten
Bergpredigt. Hat Wunder mit eigenen Augen gesehen. Und jetzt sieht er den
Messias jämmerlich am Kreuz sterben. Das tut weh. Das schmerzt. Alle Hoffnung
mit einem Schlag vernichtet.
Oder vielleicht doch nicht? Hat Jesus nicht selbst gesagt: „Ja, vom Vater gesandt, bin ich in die Welt
gekommen. Und jetzt verlasse ich die Welt wieder und gehe zum Vater zurück.“
(Joh 16, 28)
Und hat er nicht für sie gebetet, ist in der Fürbitte
eingetreten für sie vor Gott: „Für sie
bete ich. Ich bete nicht für die Welt, sondern für die, die du mir gegeben
hast; denn sie sind dein Eigentum.“ (Joh 17,9).
Mitten in diese Gedanken hört der besonders geliebte Jünger
Jesus zu sich sprechen: „Sieh, das ist
jetzt deine Mutter!“
Deine Mutter. Diese Frau da neben ihm. So lange war Jesus
mit seinen Jüngern seine Familie. Von seiner eigenen hat er sich losgesagt, hat
sie verlassen, weil Jesus wichtiger war. Und jetzt schenkt dieser ihm eine neue
Mutter.
Mit ihr teilt er sich also sein künftiges Leben. Haben die
beiden auch eine gemeinsame Vergangenheit? Können sie sich zusammen erinnern?
An das Leben mit Jesus. Seine Geschichten, seine Berührungen, seine
Charakterzüge. Es wäre doch schön, die Vergangenheit gemeinsam in Erinnerung zu
rufen und daraus für die Gegenwart und Zukunft Kraft und Glaube zu ziehen. Auch
wenn Mutter Maria und der besonders geliebte Jünger unterschiedliche Lebenswege
gegangen sind, so eint sie doch die Erinnerung an Jesus. Die beiden eint der
Glaube.
Und wenn sie Erinnerungen austauschen können, dann können
sie auch gemeinsam den Schmerz tragen, der angesichts des Kreuzes in ihnen
tobt. Miteinander trauern, Leid teilen, sich gegenseitig stützen. Eine
gemeinsame Zukunft steht ihnen offen. Jesus schenkt sie. Und zwar zum genau
richtigen Zeitpunkt. Auch wenn die Jünger über einen längeren Zeitraum hinweg
von Jesus auf genau diesen Moment vorbereitet wurden, Mutter Maria war es
nicht. Aber genau darin können sie sich ergänzen. Lernen, mit der neuen
Situation umzugehen. Gemeinsam und nicht allein.
Interessanterweise soll das im Rahmen der Familie geschehen.
Als Mutter und Sohn. Füreinander sorgen mit den unterschiedlichen Befähigungen.
Auch hier gilt: Familie kann man sich nicht aussuchen. Jesus fügt sie zusammen.
Gottes Familie entsteht.
Besonders geliebter Jünger. Der Mann, der Jesus einen Teil
seines Lebens begleitet hat. Lernbereit, zuhörend, geliebt.
Besonders geliebter Jünger. Der Mann, der jetzt der neue
Sohn der Mutter Maria sein soll.
Du und ich
Was haben diese letzten Worte von Jesus aber jetzt mit uns
zu tun?
Mutter Maria und der besonders geliebte Jünger. Beide suchen
Trost in der schwierigen Situation unter dem Kreuz. Sie drücken ihren Schmerz
auf unterschiedliche Art und Weise aus.
Zwei Menschen, die vermutlich jeweils eine andere Form der
Schmerzbewältigung benötigen. Ginge es Dir und mir anders? Vermutlich nicht.
Wir trauern bestimmt auch auf unterschiedliche Art und Weise. Mal tränenreich,
mal still in sich gekehrt, mal mit lautem Zorn. Und wir sind bestimmt froh,
wenn es dann jemanden gibt, der uns zur Seite steht. Der unsere Art von Trauer
aushalten kann. Das geht meistens dann sehr gut, wenn sich auf den anderen
eingelassen wird. Dieses Einlassen ist Trost. Für den anderen da sein ist
Trost. Deshalb sollten wir uns ermutigen lassen, für den anderen da zu sein.
Wie es auch in unserem Gemeindemotto vorkommt: Für Menschen da sein.
Mutter Maria und der besonders geliebte Jünger. Beide haben
unterschiedliche Erfahrungen mit Jesus gemacht. Sie haben unterschiedliche
Zeitabschnitte ihres Lebens mit ihm verbracht.
Und genauso geht es Dir und mir doch auch. Aus
unterschiedlichen Situationen sind wir zu Gott gekommen. Haben Ja zu ihm
gesagt. Mal im Kindesalter, mal als Jugendlicher, mal im Erwachsenenalter. Wir
gewinnen in unserem persönlichen Glauben durch die Glaubenserfahrung anderer
Gemeindeglieder. Wir gewinnen durch den Austausch dieser Erfahrungen. Deshalb
lasst uns mehr über unsere Glaubens- und Gotteserfahrungen sprechen.
Mutter Maria und der besonders geliebte Jünger. Beide kennen
verschiedene Formen oder besser Entwicklungen von Familienleben.
Auch das ist Dir und mir nicht fremd. Die sogenannte
klassische Form der Familie mit Mutter, Vater, Kind(ern) gibt es kaum noch. An
ihre Stelle sind Patchworkfamilien getreten, Regenbogenfamilien oder welche
Namen es mittlerweile alles dafür gibt. Auch Gemeinde gilt oft als ‚eine große
Familie’. Was aber auf alle diese Formen zutrifft ist, wie schon erwähnt:
Familie kann man sich nicht aussuchen. Entscheidend dabei ist immer, das Du und
ich innerhalb dieses Konstrukts Familie als das anerkannt werden, was wir sind:
von Gott geliebte Kinder.
Mutter Maria und der besonders geliebte Jünger.
26 Als Jesus seine
Mutter sah und neben ihr den Jünger, den er besonders geliebt hatte, sagte er
zu seiner Mutter: »Liebe Frau, das ist jetzt dein Sohn!«
27 Dann wandte er sich
zu dem Jünger und sagte: »Sieh, das ist jetzt deine Mutter!« Da nahm der Jünger
die Mutter Jesu zu sich und sorgte von da an für sie.
Du und ich. Die Menschen, die Gott zu seiner Familie
zusammengefügt hat.
Du und ich. Die Menschen, denen Gottes Worte gelten.
Lassen wir uns von diesen Worten ansprechen. Sorgen wir
füreinander. Seien wir einander Mutter und Sohn im übertragenen Sinn.
Amen
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere
Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus unseren Herrn.